Minifallstudie: Die Macht der Namen

Namen sind Schall und Rauch – zumindest wenn man dem Altmeister Goethe glaubt. Doch einige Fantasyromane verkehren dieses Prinzip durchaus erfolgreich ins Gegenteil, ganz ohne Namensmythifizierung und numerologische Absurditäten zu Hilfe zu nehmen. Neben „Bartimäus“ spielen die Namen der Figuren bei „Skulduggery Pleasant“ eine nicht unwichtige Rolle.

Nomen est omen?

In beiden Jugendromanserien ist eins essentiell – niemand darf den wahren Namen einer Figur erfahren, denn sonst erhält der- oder diejenige unendliche Macht über den Namensträger.

Durch Zufall erfährt Bartimäus, wie Nathanael wirklich heißt – und kann so ganz anderen Einfluss auf seinen jungen Meister ausüben, als jemand, der Nathanael nur unter dem unscheinbaren Namen „John Mandrake“ kennt. In diesem Canon bietet die Konvention den jungen Zauberern die Möglichkeit, sich selbst genau den Namen zu geben, dem sie alle am Ehesten entsprechen wollen.
Nathanael bewundert William Gladstone, den er für einen guten Menschen und Magier hält und würde gerne seinen Namen annehmen – wird jedoch gezwungen, den sehr unauffälligen Nachnamen „John Mandrake“ anzunehmen. John ist ein Allerweltsname, „John Doe“ ist die englische Entsprechung von „Max Mustermann“ und somit nichtssagend. Man erfährt durch diesen Namen nichts über den Träger. Ähnlich ist Mandrake – das englische Wort für Alraune – ein sehr allgemeiner und wenig sagender Begriff, denn die Alraune gilt seit Jahrhunderten als magische Pflanze. Ihre Bestandteile wurden für eine große Bandbreite von Dingen verwendet: Als Heilmittel, als Gift, Haluzinogen oder Aphrodisiakum.
Daher sagt sein Magiername so gut wie nichts über ihn aus und aus Nathanael kann so gut wie alles werden – sowohl ein sehr guter, ehrenvoller Mensch als auch ein verderblicher Halunke.

Anders verhält es sich bei Stephanie aus „Skulduggery Pleasant“. Im Canon dieser Romanserie hat jeder Mensch drei Namen: Den wahren Namen, der in einem geheimen Zauberbuch steht und den besser niemand wissen sollte, den Taufnamen und den selbstgewählten Namen.
Auch hier bedeutet die Kenntnis eines Namens unbegrenzte Macht – niemand darf im Buch der Namen lesen, da dieses Wissen dem Leser unendliche Macht über den betroffenen Menschen geben könnte. Aber auch der Taufname kann bereits einen gewissen Einfluss verleihen. Als China Sorrows verhindern will, dass Stefanie ihre Wohnung verlässt um Skulduggery Pleasant zu retten, hindert sie sie daran, indem sie ihren Namen nennt.
Erst als Stephanie ihren dritten Namen – den jeder Magier sich selbst nach seinem Charakter wählen kann – annimmt, verliert China ihre Macht über Stephanie bzw. Walküre Unruh, wie diese sich von nun an nennen lässt. Die Annahme des dritten Namens seitens junger Magier gilt in diesem Canon außerdem als der Moment, in dem ein junger Magier mündig wird und von den magischen Autoritäten als Erwachsener anerkannt wird. Vorher wird Stephanie vom Rat immer nur als „das Kind“ bezeichnet und nicht ernst genommen.
Durch dieses System wählt sich allerdings jeder Magier bewusst den Namen, der zu ihm oder ihr passt: Nicht umsonst heißt der unglaublich hässliche Magierschneider „Grässlich“, China nennt sich nach ihrem Porzellangesicht und Skulduggery Pleasant sucht nach seinem eigenen Schädel – den, der in Band 1 auf seinem Rumpf sitzt, hat er schließlich beim Pokern gewonnen…

Weltenbauerischer Ausblick

Sprechende Namen sind in der Literatur prinzipiell nichts Neues. Schon in den alten griechischen Sagen haben die Helden und Heldinnen oftmals sprechende Namen, die ihre Rolle im Verlauf der Geschichte andeuten. Auch andere – insbesondere Kinder- und Jugendromane – greifen oftmals auf sprechende Namen zurück. Es gibt ganze Forschungen über die Namensbedeutung der Figuren aus „Harry Potter“ und Aufsätze über den Stellenwert der Umbenennung von Anakin Skywalker in Darth Vader im StarWars-Universum.
Es gibt allerdings einen entscheidenden Unterschied zwischen unterschwellig sprechenden Namen und dem bewussten Einsatz von Namen als handlungsvorantreibenden Faktor. „Bartimäus“ und „Skulduggery Pleasant“ sind die derzeit populärsten Beispiele dafür, dass eine auf Namen aufbauende Geschichte sehr gut funktionieren kann, solange das Element nicht übermäßig ausgereizt wird und auch andere Themen in den jeweiligen Büchern eine wichtige Rolle spielen.

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Über Katherina Ushachov

Lektoriert, liest alpha, beta, gamma und omega. Administriert Foren, entdeckt beim Schreiben und schafft dabei Trilogien in neun Bänden. Dichtet.
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9 Antworten zu Minifallstudie: Die Macht der Namen

  1. Dinu schreibt:

    Eigentlich kann Skulduggery (den man übrigens mit nur einem l schreibt) seinen Namen nicht wegen seines Schädels gewählt haben, da er ihn schon angenommen hat, als er noch kein Skelett war. Vielmehr ist „skulduggery“ ein englisches Wort und bedeutet etwa „Hinterlist“ oder „Gaunerei“.

    • Evanesca Feuerblut schreibt:

      Danke für die Anmerkung, ich habe die Schreibweise im Artikel korrigiert.
      Da meine Minifallstudie allein auf Band 1 basiert, konnte ich in der Hinsicht (also wieso er sich so genannt hat) nur vermuten, es könnte mit seinem Schädel zu tun haben. Es steht aber auch nicht als Tatsache im Text, da schrieb ich nur „er sucht nach seinem Schädel“.
      Aber es ist natürlich eine schöne Zweideutigkeit der englischen Sprache, dass dieses Wort fast genauso klingt, wie als würde wirklich jemand nach einem Schädel graben :).

      (Und ich lasse mich gern korrigieren – wir sind alle Menschen und Menschen machen nun mal Fehler. Für Anmerkungen bin ich immer dankbar)

  2. PoiSonPaiNter schreibt:

    Wenn es um wahre Namen geht, dann darf man doch Erdsee (Ursula LeGuin) nicht außen vor lassen, denn auch da spielen sie eine große Rolle. ;)

    Es ist immer wieder interessant, dass einige Konzepte in unterschiedlichen Romanen/Geschichten/Sagen ähnlich und doch anders aufgefasst werden…

    • Evanesca Feuerblut schreibt:

      Erdsee habe ich immer noch nicht gelesen, gebe ich ehrlich zu. Egal wie weltenbaubegeistert man ist, es ist einfach nicht möglich, alles zu lesen. Konkret die zwei Bücher aus der Fallstudie habe ich kurz vor deren Schreiben gelesen und festgestellt, dass da ein Konzept kurz nacheinander verschieden genutzt wird.
      Wenn ich aber mal Erdsee lese, wird das bestimmt Stoff für einige Artikel geben, die Welt soll Einiges hergeben, habe ich gehört.

      • PoiSonPaiNter schreibt:

        Ich hab bis jetzt auch erst den 1. Band der Triologie geschafft, aber schon da ist das Prinzip gut erkennbar.
        Du kannst Gegenstände von einem ins andere (permanent) verändern wenn du seinen wahren Namen kennst.
        Du kannst aber auch Menschen/Wesen kontrollieren, wenn du den kennst.
        Die Studenten der Zauberakademie müssen daher jede Menge Namen lernen. :)

      • Evanesca Feuerblut schreibt:

        Also quasi ein wenig wie bei „Barthimäus“, nur noch mal viel, viel stärker und wichtiger. Eine coole Idee… :)

      • PoiSonPaiNter schreibt:

        Ich hab Barthimäus noch nicht gelesen, aber ja, klingt danach.
        Und vom Veröffentlichungsdatum her könnte Erdsee evtl. als Inspiration für die anderen beiden zählen. ;)

      • Evanesca Feuerblut schreibt:

        Möglich – könnte aber genauso gut unabhängig voneinander entstanden sein, einfach weil alles Mögliche mit Namen immer sehr faszinierend für den Menschen ist und für sehr viele, auch uralte, Erzählungen die Basis geliefert hat.

      • PoiSonPaiNter schreibt:

        Das stimmt, ist ja auch in gewisser Hinsicht eine Art Aberglaube auch und es war ja immer schon so, dass verschiedene Ideen zu verschiedenen Zeit von unterschiedlichen Personen aufgegriffen wurden.

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