Über Wahrsagerei lässt sich vieles sagen. Manche glauben an die Gunst der Sterne, andere halten sie für reine Heuchelei, mit der Scharlatane ihr täglich Brot verdienen, das aber sonst nichts bringt.
Ob Scharlatanerei oder nicht, eine wirklich gute Prophezeiung ist immer mehrdeutig – allein schon, um die Spannung in einer Geschichte aufrecht zu erhalten und stets ein bisschen Zweifel für den Leser im Raum schweben zu lassen.
Schauen wir uns ein prominentes Beispiel an.
Harry Potter und der Grimm
Die Zeichen stehen wahrlich schlecht für den Jungen, der überlebte: Zu Beginn des dritten Bandes rennt Harry in typischer Teenie-Manier von zu Hause weg. Gerade als er im Begriff ist, ungewollt den Bus zu nehmen, nähert sich ihm ein wahrlich schauriges Tier: Ein schwarzer Hund, bedrohlich knurrend und von einer Größe, dass er sogar Dudley in einem Stück verspeisen könnte. Glücklicherweise entkommt Harry, aber damit ist es nicht vorbei.
Kaum hat Ausreißer Harry das neue Schuljahr an Hogwarts geboren, da sagt ihm Professor Trelawney, seine neue Wahrsagerei-Lehrerin, voraus, mit dem Tod zu tun zu haben. Nicht weiter verwunderlich, möchte man meinen, denn Harry hatte bereits zwei Bände zuvor wahrhaft tödliche Abenteuer.
Aber dieses mal ist es anders: Der große schwarze Hund taucht auch am Boden seiner Teetasse auf und wie Harry erfahren muss, ist es der Grimm – das tödlichste aller vorhersagender Zeichen überhaupt. Dieses Mal scheint Harrys Ende besiegelt.
Was wirklich passiert
Der Grimm schaut blöderweise wie ein Hund aus – und was die Teetasse eigentlich sagen wollte, war, dass Harry bald einen schwarzen Hund treffen wird. Das Zeichen wurde leider misinterpretiert: Nicht der Tod wartet auf Harry, sondern ein Treffen mit seinem Paten Sirius, der sich in einen schwarzen Hund verwandeln kann.
Selbiger Pate war auch der Hund, den Harry auf sich zuschleichen sah.
Fazit
Hätte Rowling die Vorhersage gleich in „Harry, du wirst einen schwarzen Hund treffen!“ umgedeutet, wäre dem Band seine Spannung verloren gegangen. Jeder hätte sich denken können, dass es sich um Sirius Black handelt und dass dieser ein Hund ist.
Stattdessen bedient sich Rowling eines mehrdeutigen Zeichens und lässt prompt Professor Trelawney seine schlimmste Bedeutung aus dem Zauberhut ziehen: Den Tod.
Und die Sterne logen nicht einmal, sie zeigten ein eindeutiges Zeichen. Es wurde nur falsch interpretiert…
Wer in seiner eigenen Welt mit Prophezeiungen hantieren will, tut gut daran, ebenso zu verfahren. Sind die Zeichen mehrdeutig, kann man den Leser oder Spieler lange im Dunkeln tappen lassen und ihn mit verschiedensten Hinweisen immer wieder in die Irre führen.
Der Leser wird sich freuen – und der Scharlatan, der sich die Prophezeiung ausdachte, auch mehr Geldstücke in seinen Beutel wandern sehen.
Man muss Rowling wirklich lassen, dass sie eine beeindruckende Gabe besitzt, Klischees zu nehmen und mit ihnen zu spielen. Wenn schon Prophezeiungen, dann bitte so :)
Rowling und ihre HP-Serie ist ein Phänomen, wie sich so schnell wohl kein zweites finden wird – es ist für mich immer wieder erstaunlich, wofür diese Bücher immer wieder als Beispiele taugen.
Und noch erstaunlicher finde ich, dass ich immer genau weiß, wo im Buch ich eine Stelle suchen muss – sofern ich sie nicht so gut in Erinnerung habe, dass ein Nachschlagen gar nicht nötig ist. Dabei ist das letzte Mal, dass ich sie gelesen habe, schon 5 oder 6 Jahre her….