Fallstudie: Zeitreisen VI – Die indische Uhr

Es mag zwar im Titel so klingen, aber tatsächlich geht es in der heutigen Ausgabe unserer Zeitreisen-Serie nicht um eine Zeitreisegeschichte aus dem alten Indien oder der kitschigen Bollywood-Industrie, sondern um das Romandebüt der österreichischen Autorin Irmgard Kramer.

In diesem Roman geraten die vier Kinder Emma, Leo, Adrian und David durch eine Zeitreise in das Jahr 1831, wo sie allerlei seltsame Gestalten treffen und den Lauf der Geschichte mehrfach verändern. Aber von vorne…

Die Zeitmaschine und ihre Funktionsweise

Die Zeitmaschine im Roman ist die titelgebende indische Uhr: Es handelt sich hierbei um eine alte Standuhr, wie man sie vielleicht noch vom noblen Salon der eigenen Urgroßeltern (oder einem englischen Landhauskrimi) kennen dürfte. Eine solche Uhr ist gut zwei Meter groß und hat eine Tür zum Uhrenkasten, in die auch ein ausgewachsener Mann locker hineinklettern kann. Soweit alles ganz normal, lediglich das Ziffernblatt der Uhr ist anders: Die Uhr hat zwei Ziffernringe. Der innere zeigt mit römischen Zahlen die Stunden an, aber der äußere zeigt mit arabischen Ziffern hundert Minuten statt sechzig an. Hundert? Ja, denn man kann mit dieser Uhr schließlich in der Zeit vor- und zurückreisen. Mittels der Zeiger lässt sich das Zieldatum und die Zielzeit einstellen. Soweit nichts besonderes, hat man Zeitreisen, die mit Uhrzeigern funktionieren, doch schon oft gesehen.

Interessanter ist da die Funkionsweise der Uhr: Wer die Zeit eingestellt hat und in den Uhrenkasten steigt, wird – nachdem ein lautes Rasseln des Uhrwerks ertönte – zu seiner gewünschten Zeit transportiert. Dort steigt er dann aus der Uhr heraus, befindet sich allerdings an genau dem Ort, an dem er ursprünglich gestartet ist. Die Zeitmaschine kann also durch die Zeit, aber nicht durch den Raum transportieren. Selber bewegt sie sich kein Stück – und auch keine Sekunde. Denn die indische Uhr bleibt in der Ausgangszeit stehen, projiziert aber ein Hologramm an die Stelle in der Zielzeit, in das der Zeitreisende steigen und sich wieder zurücktransportieren lassen kann. Sichtbar ist dieses Hologramm aber nur für den Zeitreisenden selbst, andere Menschen können es nicht sehen.

Wird die Uhr bewegt, bewegt sich natürlich auch das Hologramm.

Wieso die Uhr so funktioniert, wie sie funktioniert, weiß keiner – scheinbar ist ein rätselhafter schwarzer Stein aus Indien irgendwie in ihr verbaut worden, jedenfalls hat die Uhr daher ihren Namen.

Übrigens schlägt das Reisen mittels Uhr dem Zeitreisenden ziemlich über den Magen – bei der ersten Zeitreise kotzt Leo daher auch gleich mal Adrian voll. Solche Nebenwirkungen findet man bis dato in anderen Zeitreisegeschichten nicht.

Auswirkungen der Zeitreise

Das ganze Buch von Irmgard Kramer baut darauf auf, dass David vermeintlich aus dem 19. Jahrhundert von seinen kinderlosen Eltern geklaut wurde und zwar mittels dieser Uhr, die irgendwie in Familienbesitz gelangte. Der langen Rede kurzer Sinn: Eine typische Verwechslungsgeschichte.

Viel interessanter ist aber, dass der ursprüngliche Anstoß zur Zeitreise von David und seinen Freunden eine während einer Klassenfahrt auf einer Burg gefundene Botschaft ist, die David selbst aber im Laufe des Buches im Begriff ist, dort in der Vergangenheit zu verstecken – und da er dies tut und weiß, welch Verwicklungen seine unpräzise Formulierung zur Folge hatte, formuliert er es gleich mal anders. Hä? Ja, genau, ab hier wird es unlogisch und erinnert stark an den determinierten Zeitverlauf von Déjà Vu, der so nie hätte stattfinden können.

Veränderungen der Vergangenheit und ihre Auswirkungen auf die Gegenwart werden aber im Buch nicht sonderlich drastisch ausgearbeitet. So ist David etwa für die Rettung des Jeans-Erfinders Löb Strauß vor der Justiz verantwortlich, dem er mal schnell alle Geschehnisse bis 2010 erzählt, sodass dieser mit diesem Wissen sein und seiner Nachfahren Glück sichern kann. Und das trotz Leos ständiger Warnungen vor dem schrecklichen Großvaterparadoxon…

Fazit

Eigentlich müsste eine Standuhr als Zeitreise der Klassiker der Zeitreisengeschichten schlechthin sein – insofern interessant, dass keiner der vemeintlichen „Klassiker“ unserer bisherigen Serie ein solches Element aufwies. Übelkeit als Nebenerscheinung der Zeitreise ist zudem eine nette Idee: Schließlich legt man eine wahnsinnige Reise zurück und wenn man schon im Flugzeug Tomatensaft braucht, warum sollten dann Zeitreisen völlig harmlos sein?

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Über fruehstuecksflocke

Tätig als Studiosus, Autor, Blogger, Leser; außerdem Zusatzqualifikationen: Zitatesammler, Schwammaufsauger von jeglicher Nichtigkeit und leidenschaftlicher Verlierer beim Schachspiel.
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2 Antworten zu Fallstudie: Zeitreisen VI – Die indische Uhr

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