Fallstudie: Zeitreisen in H.G. Wells „The Time Machine“

Ein Klassiker nicht nur der Science-Fiction-Literatur sondern auch das erste Buch über Zeitreisen, schrieb „The Time Machine“, 1895 erschienen, Geschichte.
Der Zeitreisende stellt die einfache Frage, wieso man – wenn man in den Dimensionen des Raums reisen kann – nicht auch durch die Zeit reisen sollte.

Funktionsweise der Zeitmaschine

Im Grunde genommen handelt es sich um einen Metallkäfig aus Nickel und Kupfer, wobei Teile der Zeitmaschine aus Quartz und Elfenbein bestehen. Wer durch die Zeit reisen will, muss sich dafür auf einen Sitz im Käfig setzen.
Um die Zeitreise zu starten, muss ein Hebel gedrückt werden, um sie zu beenden, ein zweiter. Je länger die Zeitspanne zwischen dem Drücken des Starthebels und dem Drücken des Stopphebels ist, desto weiter reist der Zeitreisende. Je stärker der Starthebel durchgedrückt wird, desto schneller geht diese Reise vonstatten und beschleunigt sich immer mehr, wenn der Stopphebel nicht gedrückt wird.
Die Zeitreise selbst fühlt sich an, als würde man sich im freien Fall befinden und jeden Moment zerschmettern. Die Umgebung scheint sich abzudunkeln und der Zeitreisende nimmt die Ereignisse außerhalb der Zeitmaschine stark beschleunigt wahr.
Stoppt man auf sehr hohem Tempo, wird man als Zeitreisender aus dem Sitz katapultiert und hört einen lauten Knall, ehe man aufkommt.

Einschränkungen

Anders als bei Zeitmaschinen späterer Geschichten, kann man an diesem Gerät nicht aktiv einstellen, in welches Jahr oder in welche Zeit man reisen will. Es ist schwer, einen präzisen Zeitpunkt einzustellen und so z.B. genau in dem Moment zurückzukehren, in dem man aufgebrochen ist, da man keine Jahreszahl einstellt, sondern den Zeitraum, den man vor- oder zurückreisen möchte.
Die Zeitmaschine ist in der Lage, anzuzeigen, wie weit man gereist ist – im Falle des Zeitreisenden das Jahr 8002701 nach dem Jahr, in dem die Geschichte spielt.
An dieser Stelle widerspricht sich der Autor – erst heißt es, die Zeitreise sei nicht direkt zu steuern, dann widerum gibt er an, in irgendeiner Weise die Anzahl von Reisetagen in Tagen, tausenden von Tagen, Millionen von Tagen und Millionen von Millionen Tagen eingeben zu können. Er gibt sogar an, präzise einen Monat in die Zukunft weitergereist zu sein, um Riesenkrabben zu entkommen.
Schließlich ist er in der Lage, wieder zu dem Zeitpunkt zurückzureisen, von dem er aufgebrochen ist.
Die Zeitmaschine reist nicht durch den Raum – man kommt also exakt dort raus, wo man einsteigt. Will man einen anderen Ort in der Zukunft (oder Vergangenheit) erforschen, muss die Zeitmaschine dorthin getragen werden.

Auswirkungen von Veränderungen auf die Zeitströme

Der Zeitreisende reist in die Zukunft, somit hat seine Reise keine Auswirkungen auf die Gegenwart, in der er lebt. Er beschreibt allerdings eine Zukunft, in der statt Menschen eine kleine Rasse auf der Erde lebt, die nicht in der Lage zu sein scheint, die von ihr bewohnten Räume instand zu halten.
Tiere scheinen größtenteils ausgestorben zu sein.
Zwei Menschenrassen – die oberirdisch lebenden Eloi und die unterirdisch lebenden Morlocks – haben sich vom Menschen abgespalten, beide an ihren Lebensraum angepasst und sind im Vergleich zum modernen Menschen degeneriert. Morlocks kommen nachts aus ihren unterirdischen Behausungen und rauben Eloi, um sie zu fressen. Dabei vermutet der Zeitreisende, die Eloi würden von der viktorianischen Oberschicht, die Morlocks von unterirdisch tätigen Angehörigen der Arbeiterklasse abstammen.
Der Zeitreisenden kommt zu dem Schluss, dass es Wohlstand und ein Leben ohne Bedrohungen gewesen sein müssen, die zur Degeneration menschlichen Intellekts führten.
Ausgerechnet die Morlocks scheinen ihm dagegen noch einen gewissen Intellekt behalten zu haben, da sie seine Zeitmaschine geölt und die Maschinen in ihren unterirdischen Unterschlüpfen unterhalten haben – während die Eloi nie zu arbeiten scheinen. Mehr noch – die Morlocks scheinen die Eloi ähnlich zu züchten, wie die Menschen Kühe, zur Nahrungsbeschaffung.
Seine weitere Reise in die Zukunft führt ihn in eine Zeit, in der die Sonne nur noch ein schwach leuchtender roter Riese ist, dem die Erde immer dieselbe Seite zeigt. Die zweite Hälfte der Erde liegt im Schatten und scheint nur noch von urtümlichen Wesen, Moos und Riesenkrabben bevölkert zu sein. Schließlich reist er zu einer Zeit, als die Sonne nahezu völlig erloschen scheint. Erst dann kehrt er zurück.
Insgesamt zeichnet er die Vision einer sterbenden Erde – ohne eine Möglichkeit aufzuzeigen, dieses Sterben aufzuhalten.

Etwaige Widersprüche im Konzept

Aus heutiger Sicht ist es natürlich nicht vorstellbar, dasss die Menschen sämtliche Bakterien und Pilze ausgerottet haben könnten. Ob das Aussterben sämtlicher Säugetiere, Vögel etc. möglich ist, ist schwer zu beurteilen und trotz des Artensterbens unserer Zeit unwahrscheinlich.
Ebenfalls geht der Roman natürlich von einem Museumskonzept aus, das auf den Museen des späten neunzehnten Jahrhunderts basiert – in einem modernen Museum fände der Zeitreisende keine Schachtel Streichhölzer in einem Glaskaste und wohl auch keine aufgefädelten Bücher.
Außerdem weiß man mittlerweile, dass die Sonne nicht auf die beschriebene Weise erlöschen wird – der rote Riese wird die Erde entweder schlucken oder ins All stoßen.
Allerdings sind das keine Widersprüche im eigentlichen Sinne – es ist eine interessante Eigentümlichkeit der Science-Fiction-Literatur dieser Zeit, einerseits bis heute unmögliche Erfindungen und Entwicklungen in die eigene Zeit zu legen, andererseits jedoch von der Unveränderlichkeit von Konzepten wie z.B. der Museumsstruktur auszugehen.

Weltenbauerisches Fazit

Die erste Geschichte über eine Zeitreise ist im Grunde genommen eine Dystopie mit der klaren Aussage „Wenn ihr so weitermacht, wie bisher, wird es kein gutes Ende nehmen“. Die Kritik richtet sich sowohl gegen die starke gesellschaftliche Spaltung im viktorianischen England als auch gegen das Streben nach Komfort und Sorglosigkeit als fernes Endziel menschlichen Erfindungsreichtums.
Zumindest im Moment scheint die Menschheit von einem sorglosen Zustand weit entfernt zu sein, im Prinzip ist die Geschichte jedoch so universell (und die Schilderung der Eloi und Morlocks so weit in der Zukunft angesiedelt), dass ein Leser nicht mit gutem Gewissen sagen kann, dass die Zukunftsvision nie eintreten kann.
Im Grunde genommen hat Wells sehr kunstvoll mehrere Klippen umschifft, mit denen moderne Geschichten zu kämpfen haben. Die wissenschaftlichen Aspekte stützen sich auf die aktuellsten Erkenntnisse seiner Zeit und so konnte der Roman in dieser Hinsicht nicht angegriffen werden. In gewissem Sinne geht er auch der Frage aus dem Weg, inwieweit der Zeitfluss determiniert ist – der Erzähler reißt diese Frage kurz in seinen Gedanken an, aber die Zukunft bleibt für ihn ungewiss. Es werden eher grobe Tendenzen weitergedacht, als konkrete Ereignisse.
Für den Schreiber von heute eröffnen sich viele Fragen und Möglichkeiten – unabhängig davon, ob der konkrete Roman „die Zeitmaschine“ weitergedacht oder eigene Konzepte entworfen werden.
Ist der Zeitreisende – samt Zeitmaschine – doppelt vorhanden, wenn er erneut in genau die Zeit im Jahr 802701 zurückreist, in die er schon mal gereist ist? Wenn das der Fall wäre – hätte er sich selbst nicht begegnen müssen? Kann er in die Zeit so zurückreisen, dass er seine Eloi-Freundin retten kann?
Oder gibt es vielleicht eine Möglichkeit, den Knotenpunkt in der Vergangenheit zu finden, an dem sich die Aufspaltung der Menschen verhindern ließe? Wenn der Zeitreisende das schaffen und dann nochmal ins Jahr 802701 reisen würde – würde er dann eine andere Zukunft vorfinden?
Man weiß es nicht und es geht nicht aus dem Roman selbst hervor.

Kennt und mögt ihr Geschichten über Zeitreisen? Kommen in euren Geschichten Zeitreisen vor?

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Über Katherina Ushachov

Lektoriert, liest alpha, beta, gamma und omega. Administriert Foren, entdeckt beim Schreiben und schafft dabei Trilogien in neun Bänden. Dichtet.
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8 Antworten zu Fallstudie: Zeitreisen in H.G. Wells „The Time Machine“

  1. fruehstuecksflocke schreibt:

    Danke fürs Analysieren – das Buch will ich schon ewig lesen, kam aber nie dazu :(

  2. Solminore schreibt:

    Keine Zeitreise, aber was Sie über die Extrapolation der Museumskultur in eine ferne Zukunft hinein zu bedenken geben, nämlich die Fallstricke und Unvorhersehbarkeit der Zukunft, das illustriert eine Szene in „2001 — Odyssee im Weltraum“. Ganz zu Beginn wird ein Großraumbüro gezeigt, in dem lauter fleißige Menschen am Tippen sind. Der Clou des ganzen besteht in einem grandiosen Irrtum der Filmemacher, die sich eine Welt ausdachten, in der zwar Computer so komplex sind, daß sie Psychosen bekommen, Schreibkräfte aber nach wie vor an der Schreibmaschine sitzen. Was den Filmemachern nicht in den Sinn kam, war, daß eine Technologie der Supercomputer auch auf den kleinen Maßstab durchbrechen und den Alltag der Menschen komplett verändern müßte.

    • Evanesca Feuerblut schreibt:

      Danke für den wunderbaren Kommentar – persönlich habe ich „2001“ immer noch nicht gesehen, sollte es aber irgendwann nachholen. Bei der Gelegenheit werde ich natürlich auch auf diesen… hm… es ist eigentlich kein Anachronismus… ich muss mir ein Wort dafür ausdenken, aber ich werde jedenfalls darauf achten.
      Vermutlich ist das etwas, was der Mensch tatsächlich nur in begrenztem Maße kann – ich merke es, wenn ich selbst mit Science-Fiction-Settings arbeiten will – die gegebene Realität so weiterzudenken, dass die erdachte Zukunft der tatsächlichen ähnelt.

      • Solminore schreibt:

        Es ist sicher schwierig, Vorhersagen zu machen. Aber ein bißchen kann man doch aus der Vergangenheit lernen. Auch in den sechziger Jahren wären doch schon viele Beispiele bekannt gewesen, wonach Erfindungen, die ursprünglich von rein wissenschaftlichem oder industriellem Interesse waren, in den Alltag eingedrungen sind. Der plutoniumbetriebene Kühlschrank ist uns erspart geblieben, aber aus dem Buchdruck wurde das Taschenbuch und der Leporello; aus der Eisenbahn Vergnügungsfahrten; aus dem Verbrennungsmotor das Auto für jedermann; aus dem Elektromotor die Waschmaschine; und aus dem Flugzeug Werbeflüge. In einer amrktversessenen Gesellschaft werden Erfindungen immer banalisiert, früher oder später. Das hätte man schon wissen können, als man „2001“ produzierte.
        (Übrigens, noch einen solchen Schnitzer möchte ich Ihnen nicht vorenthalten, falls Sie das nicht schon kennen: In „Eden“ von Stanislaw Lem gibt es in einem interstellaren Raumschriff eine Bibliothek. Mit Büchern. Aus Papier.)

      • Evanesca Feuerblut schreibt:

        Das Problem hierbei ist für junge Autoren, dass sie damals, als diese literarischen Fehler gemacht wurden, teilweise noch nicht mal auf der Welt waren oder manche Entwicklungen so fantastisch sind, dass man sie nicht absehen kann.
        Eine (längst verworfene) Urversion eines Romankapitels von mir enthielt beispielsweise noch Mini-Laptops als Zukunftstechnologie, ebenso wie mit einem Touchpen zu beschreibende Paperwhite-Tablets. Fünf Jahre und viele Bearbeitungen des Kapitels später musste ich die mittlerweile veralteten Technologien durch etwas ersetzen, was plausibler scheint. Ob es mir gelungen ist, weiß ich nicht, vielleicht sollte ich schneller schreiben damit es nicht dauernd veraltet.
        Den Anachronismus der Papierbibliothek empfinde ich allerdings als gar nicht so schlimm. Jedes Mal, wenn ich feststelle, wie schnell alles über die Jahre mühevoll digital Angespeicherte verloren gehen kann, denke ich: Ach, hätte ich es doch ausgedruckt. Wenn man also eine Papierbibliothek hat, obwohl man Digitalem fähig wäre, ist das gar nicht so dumm :).

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