Heute haben wir einen Gastbeitrag von Edgar, einem Mitglied des L&L’s-Boards, für euch. Die erste Fassung seines Artikels erschien ebenfalls dort und wir waren sofort begeistert, sodass wir Edgar baten, doch eine längere Fassung für uns zu erstellen.
In seinem Artikel beschäftigt Edgar sich mit der Frage, wo denn der Unterschied zwischen Autoren und Rollenspielern ist – beide beschäftigen sich mit dem Erzählen einer Geschichte, aber doch auf ganz andere Art und Weise.
Die Unterschiede zwischen Rollenspielern und Autoren
Auch wenn sich beide Aspekte gewiss gelegentlich vermischen und eins zum anderen führen kann (und umgekehrt) ist es vor allem die Herangehensweise an Welt, Sprache und Ereignisse, die beide Gruppen unter Umständen trennen kann. So merkt man einem Autoren, der aus der „Rollenspielszene“ kommt, dies oft an gewissen Mustern an, ebenso unterscheiden sich von Autoren geführte Rollenspiele von denen, die von Nichtautoren geführt werden.
Dieser Artikel bezieht sich überwiegend auf Pen&Paper-Rollenspiele. Er gilt natürlich nicht oder nur bedingt für Rollenspiele, bei denen Zufallssysteme keine Rolle spielen oder die Aktionen der einzelnen am Spiel beteiligten Personen im Vorfeld untereinander abgeklärt werden. Er gründet sich auf die persönlichen Erfahrungen des Artikelschreibers mit dem DSA-System und gibt zwar eine Beobachtung wider, ist aber nicht dogmatisch zu sehen.
Herangehensweise an die Welt
Je nachdem, wie wichtig die Welt für einen Roman oder eine Kurzgeschichte ist, dient sie dem Autor doch überwiegend als Kulisse und natürlich dafür, den agierenden Figuren eine Bühne zu bieten. Die Welt zeichnet die Bedingungen für die eigentlichen Ereignisse vor und setzt ihnen gewisse Grenzen, aber in der Regel werden die Romanfiguren nicht mit ihr interagieren. Eine noch so detailliert ausgearbeitete Welt wird sich passiv verhalten, da die Interaktionen zwischen den Weltenbewohnern im Vordergrund stehen.
In einem Rollenspiel ist die Welt – zusätzlich zu den Monstern, heimtückischen Magiern, Räubern etc. die sie bewohnen – der hauptsächliche Antagonist. Ob beispielsweise der Aufstieg auf einen Berg klappen kann oder ob man es schafft, bei strömenden Regen eine schlammige Straße zu überqueren, hängt natürlich davon ab, wie mächtig der Spielleiter die Welt gemacht hat. Wie hoch muss man würfeln? Wie stark darf der eigene Held sein?
Bevor auch nur eine kleine Ratte auftaucht, ist vor allem die Spielwelt selbst der Gegner eurer Helden und ihr müsst damit zurechtkommen und mit Tricks oder roher Kraft den Elementen trotzden.
Entsprechend muss eine Rollenspielwelt von vornherein so gestaltet werden, dass sie sich als zusätzlicher Antagonist eignet. Grüne Auen, sonnendurchflutete Hügel und weicher Rasen sind nicht wirklich gefährlich. Zerklüftete Felsen, mit Gras zugewachsene Erdlöcher auf einer Heide und kaum wahrnehmbare Sumpfgebiete dagegen schon.
Sprache
In einem Roman formuliert in der Regel ein Autor alles – er kann mit seiner Sprache die Stimmung der Welt erzeugen oder die verschiedenen Persönlichkeiten in der Geschichte formen. Die Art und Weise, wie die Welt beschrieben wird, bestimmt die Stimmung – und nichts, was der Leser tut, kann etwas daran ändern.
In einem Rollenspiel ist das anders. Zwar gibt der Spielleiter die Stimmung vor und schafft die sprachliche Basis, aber auch die Mitspieler gestalten ihre jeweiligen Figuren autonom und der Spielleiter muss darauf reagieren, wie die einzelnen Personen sprechen.
Auch muss der Spielleiter darauf achten, dass die eigenen Aussagen entweder subtil die Spieler zu einer bestimmten Lösung hinschubsen oder im Gegenteil jede mögliche Lösung eines Problems offen lassen. Dies muss er spontan und mündlich entscheiden.
Anders ist es bei einer Geschichte, denn wenn dort eine Aussage nicht passt, kann man sie jederzeit verändern. Ein gesprochenes Wort dagegen kann nicht mehr zurückgenommen werden.
Wenn die Spieler außerdem bei einer ernst gemeinten Geschichte dennoch blödeln und nicht aufhören können zu lachen, kann der Spielleiter nur sehr begrenzt wieder eine ernste Atmosphäre herstellen und muss versuchen, auf die allgemeine Heiterkeit einzugehen.
Ereignisse
Was seinem Romanhelden passiert, bestimmt der Autor. Er hat im Grunde genommen die Ereignisse jederzeit völlig unter Kontrolle, kann sie verändern, editieren, kann neue Ereignisse hinzufügen oder vergangene Handlungen durch andere Ereignisse und Rückblenden nachträglich legitimieren. Er kann am Ende des Buches nochmals zu Kapitel drei zurückkehren, ein Detail der Welt an die Ereignisse im letzten Kapitel anpassen oder dem Antagonisten einen besseren Namen geben.
Diese Stilmittel stehen dem Rollenspieler bzw. auch dem Spielleiter nicht zur Verfügung! Zwar arbeitet ein Spielleiter in der Regel mit einem ausgeschriebenen Abenteuer, aber ob die Spieler sich auch daran halten oder auf einmal völlig unvorhergesehene Wege gehen (und damit all die schöne Planung wertlos machen können), kann er vorher oftmals nur bedingt abschätzen. Dafür muss er jedoch auf jedes noch so merkwürdige und unvorhergesehene Ereignis reagieren können. Und zwar idealerweise schnell und logisch, damit die Spieler nicht den Eindruck bekommen, in der Geschichte „herumzueiern“. Sie wollen ja an irgendein Ziel gelangen, das sie im Vorfeld nicht kennen können!
Um es kurz zu machen…
Auch wenn sowohl Autoren als auch Rollenspieler eine Geschichte und Figuren mit Leben und Atmosphäre füllen können müssen, so besteht der Hauptunterschied zumindest bei Rollenspielrunden im Real Life vor allem in der Kontrollierbarkeit und Spontanität der Ereignisse.
Während ein Romanschreiber jederzeit die Hoheit über sein Werk hat, können in einer P&P-Runde die Spieler den Leiter zwingen, neue Figuren hinzuzuerfinden oder die Welt an die besonderen Gegebenheiten des aktuellen Spiels anzupassen.
Für mich noch ein weiterer wichtiger Unterschied: Im Rollenspiel ist die Motivation des Spielers zu spielen. Wenn er sich dazu entscheidet, nichts zur Geschichte beizutragen, spielt er auch nicht, und es entgeht ihm der Hauptzweck des Rollenspiels – das Spiel aktiv zu beeinflussen.
Ein Charakter in einem Roman braucht mehr Motivation als „ich bin grad in der Gegend, deshalb untersuche ich diese finstere, modrige Höhle“. Eine Romanfigur muss vom Autor plausbile Gründe bekommen, warum sie einen Auftrag übernimmt oder gerade jetzt nach dem verschwundenen Schatz sucht, obwohl es lebensgefährlich ist. Der Autor ist dafür verantwortlich und kann sich nicht darauf verlassen, dass seine Figuren wie im Rollenspiel den verwunschenen Turm stürmen, weil er DA ist, denn wenn sie es nicht tun, haben sie kein Spiel.
Ich hab mich in allen 3 Positionen versucht – Rollenspieler, Spielleiter und Autor -, und das Schwierigste war für mich immer, den Charakteren im Roman ein gutes Motiv für ihr Handeln zu geben. Im Rollenspiel reichten Neugier und Aussicht auf reiche Belohnung in Form von Schätzen oder Erfahrungspunkten aus. Im Buch nicht.
Lg,
J
Wahre Worte.
Allerdings denke ich, dass es auch im Rollenspiel wichtig ist, eine Storyline zu haben, die auch ausreichend Motivation und Gründe für den Verlauf der Handlung liefert, damit die „Illusion“ für die Spieler umso stärker ist.
Aber ja – ein einfacher Buchprotagonist wird nicht einfach so losziehen, einen Drachen zu erschlagen. Ein Rollenspieler schon, allein, weil so ein Kampf gegen einen Drachen einfach Spaß macht. Danke für die Anmerkung :)
Leider habe ich schon unzählige Bücher (überwiegend Fantasy) gelesen, in denen der Held irgendwas Heldenhaftes tut, weil Helden das halt so machen und der dann ohne großartige Motivation in irgendwelche mordsgefährlichen Geschichten stolpert. Das passiert meist, wenn man einfach einen platten Helden ohne Hintergrund nimmt.
Hat der Held eine spannende Vergangenheit, hat er automatisch ein Motiv – sein kleiner Bruder ist in einer Höhle verschollen gegangen, weil er herausfinden wollte, ob alle Höhlen der Welt zusammenhängen. Der Held, erwachsen geworden, lässt keine Höhle aus, in der Hoffnung, seinen Bruder zu finden. So als aus den Fingern gesaugtes Beispiel…
In einem Spiel können die Motivationen über das bloße „Ich will spielen“ weit hinausreichen. Innerhalb einer Rollenspielgruppe können sich eigentlich am selben Strang ziehende Charaktere schon mal so sehr nicht grün sein, dass es für sie eine Nebenmotivation gibt: Den anderen möglichst dämlich dastehen zu lassen, auf Kosten der Gruppe. Auch sonst kann die Konstellation der teilnehmenden Persönlichkeiten das Spiel stark färben ^^.
Bei einem Roman dagegen gibt es keine zweite oder dritte Person (zumindest in der Regel), die dem Autor die Interaktion teilweise erleichtert. Der Autor muss alle Charaktere selbst interagieren lassen. Er kann sich nicht einfach hoffen, dass schon jemand anders was einfällt.
Ich hab definitiv zu viele Bücher gelesen, wo die Motivation des HC nur dadurch zu erklären war, dass es ohne die folgende Tat keinen Plot geben würde ;-)
Meine Rollenspieler waren recht einfach zu begeistern – heute ist Samstag, da wird gespielt! War als Leiter einfach, sie zu motivieren, weil sie voller Freude alles erkundeten, was ich ihnen vor die Nase hielt. Ich hatte mehr damit zu tun, sie davon abzuhalten, sich vor lauter Entdeckerdrang versehentlich umzubringen :-)
Vermutlich ist es sehr verlockend. Man hat einen Plot vor Augen und dann fragt man sich, wie man ihn zum Laufen bringt. Oftmals nimmt man dann irgendwas Provisorisches, was wenig Sinn macht. Und wenn man fertig ist, hat man immer noch keine Idee und so bleibt es beim Provisorium. Das ist jedenfalls meine Vermutung ^^.