Gastartikel: Sprachwandel

Heute stellen wir euch einen Gastbeitrag von Ben vor. Ben bloggt auf „ben schreibt“ über das Schreiben allgemein, über seine eigenen Geschichten und über philosophische Dinge. In diesem Gastartikel widmet er sich dem Wandel der Sprache und seinen Hintergründen.

Für mich als Schreiberling stellt sich oft die Frage: Wie hauche ich den Dialogen meiner Charaktere Leben ein?
Das ist natürlich eine Frage auf die es tausende Antworten gibt. Man kommt aber in der Regel nicht daran vorbei, sich bei der Suche nach Antworten über die Sprachentwicklung Gedanken zu machen. Woher kommt die Sprache? Warum ist Sprache so, wie sie ist? Was macht Sprache aus?

Klar ist: Sprache entwickelt sich.

Sonst würden wir uns heute immer noch angrunzen (oder wie auch immer Neandertaler sich verständigt haben). Ohne Sprachentwicklung gäbe es nicht gut 53 aktiv gesprochene Dialekte, alleine in Deutschland. Schätzungen berufen sich auf 6500 bis 7000 Sprachen weltweit (ohne Dialekte). Dies haben wir – davon ausgehend das alle Menschen den selben Ursprung haben – einer Sprachentwicklung von gut 100.000 Jahren Menschheitsgeschichte zu verdanken. In dieser Zeit ist unglaublich viel passiert mit unserer Sprache.

Sprache kann sich natürlich nur entwickeln, wenn sie gesprochen wird. Daraus kann man ableiten, das sich Sprache grundsätzlich nur regional durchsetzt. In „Rufweite“, wenn man so will. Das sind wohl die Dialekte, welche wir heute noch kennen und lieben. Je weiter man sich voneinander entfernt, um so weiter entfernt sich auch die Sprache voneinander. Ist logisch. Man nehme nur mal das Stille-Post-Spiel als Beispiel…

Einigen Charakteren kann man hierdurch schon Charakter verleihen. Man kann sanfte Dialekte entwickeln oder kopieren. Es muss natürlich für jeden leserlich bleiben, man darf es also nicht übertreiben. Aber wenn man seinen Charakteren „Angewohnheiten“ mit in die Sprache gibt wie zum Beispiel das beliebte „Aye“ oder bei Fragen ein „…, wa?“ dann formt das schon Unterschiede heraus und sorgt für Wiedererkennungswert.
Es kann auch erlaubt sein die Sprache in Dialogen ein wenig umzuformen und Regeln der Grammatik zu brechen. So könnte zum Beispiel ein Satzbau wie „Ich esse mir jetzt etwas“ oder „Ich rauche mir jetzt eine“ durchaus erlaubt sein, obwohl richtig natürlich wäre „Ich esse jetzt etwas“ oder „Ich rauche jetzt eine“ – Das „Mir“ hat da grundsätzlich nichts verloren. Wem will man sonst etwas essen oder rauchen?
Auch die Rechtschreibung darf stilisiert werden! Man kann Buchstaben weglassen oder ergänzen, wenn man das möchte. „Un da hatter mich anepöbelt!“ um ein Lallen darzustellen, beispielsweise.
Aber man muss damit auf jeden Fall aufpassen. Es darf nicht störend oder nervig werden. Außerdem muss es, wie gesagt, verständlich und leserlich bleiben. Einen richtigen Dialekt kann man kaum simulieren, ohne dass der Leser den Text in den Kamin schmeißt. Außer man will als Stilelement, dass etwas nicht verstanden wird. Man sieht in Fantasiebüchern ja oft ganz eigene Sprachen; Tolkien mit seiner Elbensprache ist da wohl das populärste Beispiel.

Diese Dialekt-Entwicklung erfährt natürlich Einbrüche durch Besatzungen, Handel, Reisende, Diplomatie, Grenzen… also immer dann, wenn zwei oder mehr Sprachkreise aufeinandertreffen und sich überschneiden. Das war schon immer so, selbst bei den alten Stämmen. Wenn die sich begegnet sind, musste improvisiert werden. Diese Treffen von Stämmen und Urclans wurden mit ihrer Sprachproblematik zum Beispiel hervorragend von Jean M. Auel in ihrer sechsbändigen Buchserie „Ayla“ zu einem Thema gemacht. Wie verständigen die sich? Wie ändert sich die eigene Sprache und Wahrnehmung dadurch?
Von solchen Begegnungen stammen letztendlich auch Anglizismen & Co. Wann immer wir etwas aus einer anderen Sprach übernehmen, dann weil wir mit dieser konfrontiert wurden. Auf welche Art und Weise auch immer. Das kennt auch jeder von uns, der mal in einem Bundesland war, in dem starker Dialekt gesprochen wird. Man kommt überhaupt nicht drum herum, den Dialekt nachzumachen. Das passiert komplett automatisch.

Auch solche Elemente kann man in seinen Geschichten als Stilmittel verwenden, wenn sie in die Zeit passen. Das sollte man dann sogar tun, damit es plausibel wird. Wenn sie nicht in die Welt der Geschichte passen, dann sollte man extrem aufpassen, was man übernimmt.
Wenn man eine Welt kreiert, in welcher es gleich mehrere Sprachen gibt, die aufeinandertreffen, dann kann man auch stilistisch nutzen, das sich Sprache überschneidet. Das ist natürlich nicht einfach und muss wohl überdacht werden.

Heute passiert Sprachentwicklung, wie es niemals zuvor passieren konnte. Das liegt an zwei Phänomenen:
– Wir sind weit über 7 Milliarden Menschen auf unserer blauen Kugel. Der Platz wird langsam echt knapp. Um 1900 gab es lediglich 2,5 Milliarden Menschen. Man lasse sich diese Zahlen und die Differenz in nur 100 Jahren mal auf der Zunge zergehen. In Antike und Mittelalter gab es teilweise nur ein paar Millionen. In der Steinzeit ein paar hundert Tausend. Klar, das die Sprachkreise heute mehr überlappen als jemals zuvor! Die Kulturen vermischen sich.
– Dazu kommt noch, das wir in den letzten 100 Jahren eine sagenhafte Entwicklung in der Kommunikation gemacht haben. Funk, Radio, Telefon, TV, Internet… und vieles haben wir schon wieder vergessen, wie Telegrafen beispielsweise. Wir leben in Zeiten von Glasfaserkabeln, in der Daten ans andere Ende der Welt in Millisekunden verschickt werden. Das hat vor 50 Jahren auch noch Minuten, bisweilen Stunden gedauert.

Es findet also eine Globalisierung der Sprache statt.

Solche Gedanken darf man nicht vergessen, wenn man Belletristik der Neuzeit schreibt. Man muss sich vor Augen halten, wie die Menschen zu ihrer Zeit kommuniziert haben. Vor 20 Jahren ist keiner mit Smartphone herumgelaufen. Vor 50 Jahren hatte nicht mal die Hälfte der Bevölkerung ein Telefon. Man kann nicht etwas in den 60ern schreiben und auf einmal zieht der Hauptcharakter ein Handy aus der Hose.
Wichtig ist das auch, wenn man in der Zukunft schreib. Was wird in 10 Jahren sein? Da muss man sich ein paar Gedanken machen. Gibt es Implantate in der Haut? Smartlinsen fürs Auge? Oder bricht die komplette Kommunikation zusammen? Da darf es gerne ein wenig futuristisch werden!

Gleichzeitig aber entstehen gerade wegen dieser hervorragenden Kommunikationswege nicht regional gebundene Verbünde von Menschen. Es entstehen also nicht regionale Dialekte, wenn man so will. Das finde ich unglaublich spannend. Das betrifft geschlossene Gruppen von Menschen: Whatsappgruppen, Facebookfreunde, Twittergemeinden, Firmen, Multiplayer, Foren, Firmen, Fachbereiche. Wenn man neu in so eine Gruppe hereinkommt oder als außenstehender Gespräche mitbekommt, versteht man oftmals nur Bahnhof. Es entstehen Abkürzungen, Sprachen werden vermischt, neue Worte kreiert, die nur Insider logisch verstehen können.
Gerade der Multiplayer ist dafür ein Beispiel, das jetzt mal herhalten muss. Ich spiele immer mal wieder gerne Onlinerollenspiele, daher kann ich da ganz gut mitreden. Typische Gespräche können so aussehen im Multiplayer:

„tank lfg 5er grp mit dd und heal für br“
„invite dd und heal für br“
„invite für br kommt mom“
„Port für br otw“
„Tank go – adds inc“
„dds dotten, heal in tankrange“
„tank aggro halten“
„dd focus und mehr dps“
„wipe“
„5 minuten afk für alle“

Das ist natürlich eine hochspezialisierte Sprache! Keiner, der sich nicht ein wenig auskennt, weiß was gemeint ist. Mann muss schon zur Gamercommunity gehören. Und so wird nicht nur im Chat geschrieben sondern auch über Sprachprogramme gesprochen. Das betrifft aber wie gesagt nicht nur Spiele, sondern auch alle anderen Bereiche in denen eine kleine Gruppe von Menschen spezialisiert kommuniziert werden muss. Das erinnert mich alles ein wenig an das früher übliche Steno-Schreiben. Was heißt früher? Bei handschriftlichen Notizen die in Echtzeit aufgezeichnet werden müssen ist Stenographie immer noch üblich. Doch im Grunde ist es das Selbe: Optimierte Sprache.

Davon muss man in seinen Geschichten zwingend die Finger lassen. Von Fachbüchern die auf einen bestimmten Bereich abzielen mal ausgenommen, fällt mir nichts ein, bei dem solche Stenosprachen als Stilmittel vorteilhaft wären.

Es passiert aber noch eine weitere Sache: Örtliche Dialekte sterben weltweit schneller aus, als es je zuvor der Fall war. Die werden nicht mehr gebraucht und abgelegt. Oft als hinderlich und überflüssig betrachtet, weil man damit eben nicht überall verständlich ist. Das hat soweit ich beurteilen kann zwei Ursachen:
– Sprache ist eher global und weniger regional.
– Es wird wichtiger, dass man im weitem Umfeld verstanden wird.
Niemals zuvor hat in der westlichen Welt so gut wie jeder zwei Sprachen gesprochen. Viele sogar drei oder vier. Einige noch mehr.
Das gab es früher einfach nicht, außer in diplomatischen Kreisen und bei einigen wenigen Händlern. Da hat man den örtlichen Dialekt gesprochen. Und wenn es hoch kam, dann hat man noch die dialektfreie Landessprache beherrscht. Der Klerus und manch Adeliger verstand sich vielleicht noch auf Latein oder in anderen Sprachen. Das waren dann aber schon Spezialisten.
Wichtig ist heute: Dass man im ganzen Land verstanden wird. Dass man global kommunizieren kann.

Mein Fazit: Die Sprache befindet sich momentan weltweit im Umbruch. Irgendwann wird es soweit sein, dass jeder Mensch ein und dieselbe Sprache spricht (ob das nun Englisch, Chinesisch, Russisch oder Arabisch wird, da will ich mich mal nicht festlegen – man sollte vielleicht besser alle 4 lernen…).
Örtliche Dialekte werden dem zu Gunste immer weiter weichen, statt dessen wird es die alten Landessprachen geben (Deutsch zum Beispiel). Das menschliche Gehirn hat eben nur begrenzte Sprachkapazität und Tradition ist eben doch nicht so wichtig wie weltweite Kommunikation. Jeder will überall verstanden werden und wer nicht gerade ein Sprachgenie ist, der muss sich gut überlegen, was er nun effektiv lernen will. Dialekte werden etwas für Traditionsbewusste und Spezialisten, Forscher werden.

In Nischen wie Firmen, Games, Hobbys, Chatgruppen werden sich hochspezialisierte Sprachen die auf Effektivität und Zeitersparnis ausgelegt sind entwickeln, welche ein Außenstehender kaum verstehen wird.

Ganz Liebe Grüße, Euer Ben

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Über Katherina Ushachov

Lektoriert, liest alpha, beta, gamma und omega. Administriert Foren, entdeckt beim Schreiben und schafft dabei Trilogien in neun Bänden. Dichtet.
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11 Antworten zu Gastartikel: Sprachwandel

  1. theben1986 schreibt:

    Hat dies auf ben schreibt rebloggt und kommentierte:
    Heute wurde in der Weltenschmiede ein Gastartikel von mir veröffentlicht. Den möchte ich euch natürlich nicht vorenthalten und kann sowieso allen nur empfehlen sich mal in der Weltenschmiede umzuschauen. Viel Spaß beim Schmökern und lieben Dank an die Weltenschmiede.
    Euer Ben.

  2. theben1986 schreibt:

    Lieben Dank euch fürs Veröffentlichen :) Schönen Restsonntag und guten Wochenstart!

  3. Carmilla DeWinter schreibt:

    Kudos, um mal eine weiteren Onlinedialekt zu bemühen. Ein paar interessante Überlegungen, zumal ich gerne das Fremde im Bekannten suche.

    • Evanesca Feuerblut schreibt:

      Kudos kenne ich leider nicht – was zeichnet diesen Onlinedialekt aus? :)

      • theben1986 schreibt:

        Das ist anscheinend ne Art Belohnung auf Myspace… mehr hab ich auch nicht ergoogeln können.

      • Carmilla DeWinter schreibt:

        Meh, ein bissl verspätet, die Antwort, aber Kudos ist ungefähr „Respekt, mein lieber Herr Gesangsverein.“

        Geht so weit, dass mensch beim Archive Of Our Own (einem werbefreien Fanfictionarchiv) Kudos per Button hinterlassen kann, statt Lob.

      • Evanesca Feuerblut schreibt:

        ach so! Danke für die Info, von dem Archiv habe ich noch nie etwas gehört. Wieder was gelernt!

  4. Bei dem Multiplayer-Gespräch musste ich ein wenig schmunzeln. Als ein Bekannter von mir mit Kopfhörer und Mirkofon fleißig vor dem PC gespielt hat, habe ich kaum ein Wort verstanden! Aus Außenstehender ist einem das alles ein wenig zu hoch ;)
    Fand den Artikel jedoch sehr gelungen. Besonders, da auch ich die „Befürchtung“ – wenn man so will – habe, dass sich irgendwann eine große Sprache herausentwickelt, die jeder spricht. Wird zwar noch eine gewisse Zeit dauern, ist aber nur eine Frage der Zeit. Die Globalisierung erwischt uns alle, früher oder später :)

  5. ratatatuff schreibt:

    Das mit der Sprache in Onlinespielen war interessant, ich würd da gar nichts verstehen ^^ Beim letzten Absatz muss ich aber schon widersprechen. Dialekte werden sich halten oder verändern. Ab einer gewissen Sprecherzahl (gibt keine genaue Angabe, hängt auch mit der kulturellen Verankerung zusammen) sind Sprachen absolut stabil, die Gefahr einer Reduzierung auf 4 Sprachen besteht absolut nicht.

    • Evanesca Feuerblut schreibt:

      Ich um ehrlich zu sein auch nicht – unser Gastautor dagegen scheint das sogar fließend zu sprechen…

      Zugegeben, ich arbeite in Zukunftsszenarien auch gern mit „einer einzigen offiziellen Amtssprache“ – aber das bedeutet ja nicht, dass andere Sprachen nicht gesprochen werden :)

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