[Gastartikel] Fallstudie: Die Affären der Götter

Carmilla deWinter bloggt auf http://carmilladewinter.com/  über das Schreiben von Queer Fantasy, über das Schreiben allgemein und über Geschlechtervorurteile. Ihr Roman „Albenbrut: Ein bindender Eid“ erscheint am 15.04.2014 und kann bereits vorbestellt werden.

Über das Machtgefälle in Beziehungen und dessen Überbrückung anhand N. K. Jemisins „The Hundred Thousand Kingdoms“ (Deutsch: „Die Erbin der Welt“)

Kleines Caveat: Ich kenne die Geschichte nur im englischen Original, daher vielleicht der eine oder Schluckauf für Leute, die die Übersetzung gelesen haben.

Wie fruehstuecksflocke einmal bemerkte, sind beidseits erfolgreiche Liebesgeschichten zwischen Göttern und Menschen meistens zum Scheitern verurteilt. Wenn eine_r der Beteiligten mehr Macht besitzt als der andere, ist eine Partnerschaft auf Augenhöhe zumeist nicht möglich. Selbst Menschen und Zauberer haben es schwer – siehe Kirke und ihre Schweine.

Klar, Moral, wahre Liebe und gegenseitiger Respekt können viel ausmachen. Aber nicht immer habe ich es mit herzensguten Figuren zu tun, und selbst herzensgute Figuren haben den Tropfen, der ihr Fass zum Überlaufen bringt, beziehungsweise das Ereignis, mit dem gewiefte Autor_inn_en sie korrumpieren.

Und Götter kümmern sich sowieso nicht um das, was Menschen gut oder böse finden.

Zum Beispiel Nahadoth, der Nachtgott der Hunderttausend Königreiche. Vor Jahrhunderten bekriegte er sich mit seinem Gegenpol, dem Lichten Itempas, um die Liebe der Dämmerungsgöttin Enefa. Enefa starb, nur noch ein Rest ihrer Seele liegt in einem Stein eingeschlossen. Itempas zwang Nahadoth in einen Menschenkörper, und machte ihn und drei seiner Kinder zu Sklaven der Familie Arameri, welche diese neue Macht sofort ausnutzte.

Einen Haken hat die Sache allerdings: Nahadoth und seine Mitgefangenen leisten jedem Befehl der Arameri Folge, nehmen jeden Befehl wörtlich, und nutzen jede Logiklücke aus. Die Arameri müssen also sehr aufpassen, wie sie ein Gespräch mit ihnen führen. „Vernichte diese Armee.“ – Blöd, wenn die betreffende Armee vor den Toren der Hauptstadt lagert und man nicht gesagt hat, dass die Hauptstadt bitte nicht in einem Schwarzen Loch verschwinden soll.

Zur Zeit der „Erbin der Welt“ herrschen die Arameri unangefochten über die Hunderttausend Königreiche, also über die gesamte Welt. Nahadoth, durch sein Sklavendasein jeder Würde beraubt, hat Rache an Itempas geschworen, was mittlerweile das Einzige ist, was ihn einigermaßen zurechnungsfähig macht. Bisher hat er jede Person, die sich in ihn verliebt wähnte, in einen Fleck aus Blut und Gewebe auf dem teuren Steinboden des Palastes verwandelt.

Insofern sind die Aussichten der Baronin Yeine Darr nicht gerade rosig, als sie sich in Nahadoth verguckt. Wobei ich nicht verschweigen kann, dass ihre Aussichten allgemein düster sind, scheint es doch, als habe ihr Großvater, Dekarta Arameri, sie nur in den Palast beordert und zur Erbin erklärt, um dabei zuzusehen, wie seine anderen beiden Erben sie in der Luft zerreißen.

Für Yeine beginnt Detektivarbeit – kann sie rechtzeitig vor der Machtübergabe in zwei Wochen herausfinden, wer hier welches Spiel spielt, und es zu ihren Gunsten beeinflussen? Verkompliziert wird das ganze dadurch, dass Nahadoth und die anderen versklavten Götter sie um Hilfe gegen die Arameri bitten. Anscheinend haben sie berechtigte Hoffnung, ihre Gefangenschaft beenden zu können.

Also genau das freundliche Umfeld, das keimende Liebe aufblühen lässt. Ahem.

Sehen wir uns an, wie sich die beiden Figuren gegenseitig im Zaum halten, und wie Jemisin verhindert, dass das Ganze in Liebesroman-Wunscherfüllung abgleitet, wo allein echte und wahre Liebe dafür sorgen würde, dass Nahadoth Yeine leben lässt, und dass Yeine Nahadoth nicht mit ihrer Befehlsgewalt erniedrigt. (Nicht, dass ich was gegen Wunscherfüllungsprosa habe … *hust* Fanfiction *hust*)

Nahadoth ist ein Gott mit fast uneingeschränkter Macht – sobald seine Sklavenhalter_innen ihn von der Leine lassen. Yeine ist eine jener Sklavenhalterinnen. Außerdem will er einen Dienst von ihr, von dem er sich seine Freiheit verspricht. Sie umzubringen, verspricht bestenfalls kurzfristig Befriedigung, wäre auf längere Sicht aber kontraproduktiv.

Yeine hat mit dem richtigen Befehl uneingeschränkte Macht über Nahadoth. Aber: Das gleiche gilt für den Rest der Arameri. Yeine erwartet sich zudem von Nahadoth Aufklärung über Ereignisse in der Vergangenheit, und Hilfe dabei, die nächsten Wochen heil zu überstehen. Ihn vor den Kopf zu stoßen, wäre kontraproduktiv.

Die beiden brauchen sich gegenseitig zum Erreichen ihrer Ziele. Aus dem Palast können sie nicht entfliehen. Nahadoth, weil er keine Erlaubnis dazu hat, und Yeine, weil ihre Verwandtschaft ihm jederzeit ihre Rückholung befehlen könnte. Zuckerguss zum Verdecken von Logiklöchern ist hierbei unnötig, deshalb kommt dieser von der Autorin als „romance“ bezeichnete Subplot auch mit bemerkenswert wenig Schwärmerei und sehnsüchtigem Seufzen aus.

Wir haben hier ein klassisches Beispiel dessen, was James N. Frey als einen „Crucible“ bezeichnet. Beide kochen, zusammen mit anderen Figuren, bei geschlossenem Deckel im selben Kessel, bis der Druck so groß wird, dass das Ding hochgeht. (Aber ich verrate nicht, wie.)

Fazit: Ich würde auch gern an die Liebe glauben. Leider ist es aber häufig so, dass Macht korrumpiert. Diejenige Partei, die sich als machtlos empfindet, wird mit der Zeit Ressentiments aufbauen, während die Partei, die als Bestimmer agiert, eventuell Verachtung für jemand entwickelt, der sich nicht wehrt. Schlechte Aussichten für ein dauerhaftes Happy End. Ergo muss ein Geflecht gegenseitiger Abhängigkeiten her, welcher Art die auch immer sein mögen.

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Über Katherina Ushachov

Lektoriert, liest alpha, beta, gamma und omega. Administriert Foren, entdeckt beim Schreiben und schafft dabei Trilogien in neun Bänden. Dichtet.
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