Nachdem wir uns schon mal damit beschäftigt haben, welche Bösewichtklischees zu vermeiden sind und welche Gedanken man sich sonst noch zum Thema „Das Böse“ machen könnte … geht es heute um die Motivation hinter dem sogenannten Pfad des Bösen in der Fantasyliteratur.
Selbst gestandene Fantasyautoren wie Anne Rice stellen sich und ihren Fans gelegentlich die Frage, was beispielsweise für Voldemort eigentlich der Reiz der Dunklen Seite war. Mit anderen Worten: Was hat man davon, böse zu sein?
Tu, was du willst
Ein Antagonist sieht sich in den seltensten Fällen selbst als böse – im Grunde genommen möchte er sich aus dem gesellschaftlichen Wertekorsett von Gut und Böse lösen, um außerhalb des Gesetzes die maximale persönliche Freiheit leben zu können. Auch auf Kosten anderer.
Im ersten Harry-Potter-Band sagt Quirrel während der Konfrontation mit Harry angesichts des Spiegels „Nerhegeb“ sinngemäß, dass Voldemort ihm gezeigt hat, dass es kein Gut und Böse gäbe – nur Macht, und diejenigen, die zu schwach seien, um danach zu streben.
Nicht nur bei Harry Potter, sondern auch in vielen anderen modernen Fantasysettings gibt es bestimmte typische Ausprägungen des Bösen, die in der Regel eng mit der Motivation für den Seitenwechsel zusammenhängen.
Kurz ließe es sich mit folgendem Prinzip zusammenfassen:
„Strebe nach Macht und nutze sie auf selbstsüchtige und nicht auf die Gesellschaft ausgerichtete Weise, um
- Unsterblichkeit, wie im Falle von Voldemort
- die Macht, andere vor dem Tod zu bewahren, wie im Falle von Darth Vader
- völlige Unabhängigkeit von den moralischen Einschränkungen großer Macht, wie Saruman
zu erlangen.
Wesen, die eigentlich genauso mächtig wie ein Antagonist wären, jedoch ihre Kräfte maßvoll und gemäß den moralischen Standards der Gesellschaft gebrauchen, gelten von diesen Antagonisten als Schwächlinge – denn sie sehen nicht, dass ein „Guter“ in der Regel seine wahre Stärke nicht aus seiner Machtfülle, sondern aus ebenjener Liebe und Selbstdisziplin bezieht.
Im Grunde genommen könnte man die Motivation dieser Antagonisten also so zusammenfassen, dass sie nur ihrem eigenen Willen folgen, um ihr Ziel wenn nötig auch auf Kosten anderer Lebewesen zu erreichen. Selbst wenn ihre Absichten – wie bei Darth Vader – anfangs nobel sein mögen, stellen sie sich auf Dauer selbst ins gesellschaftliche Aus und ihnen bleibt nichts Anderes, als die Gesellschaft als solche zu bekämpfen oder zu unterwerfen.
Der Schwächefehlschluss
Auf den ersten Blick erscheint es den Antagonisten, dass sie durch den Verzicht auf Liebe und/oder selbst auferlegte Beschränkungen der Machtausübungen stärker sind als die Guten in der Geschichte.
Denn natürlich machen Liebe und Beschränkungen in gewissem Sinne verletzlich. Anakin hätte ohne seine Liebe zu Padme vielleicht nie die Dunkle Seite gewählt, weil es nicht so einfach gewesen wäre, ihn zu korrumpieren. Harry hätte ohne die ihm innewohnende Güte und Menschlichkeit zugelassen, dass Lupin und Sirius Pettigrew töten – und hätte somit Voldemorts Auferstehung und Cedric Diggorys Tod verhindern können. Gandalf hätte Saruman vernichten können, hat sich aber an die ethischen Einschränkungen gehalten, denen er als Zauberer nun einmal unterlag und aus denen Saruman willentlich ausgebrochen ist.
Aber genau diese Verletzlichkeit und Verwundbarkeit macht einen Menschen erst zu einem Menschen. Wirklich große Herzen und große Geister können der Versuchung widerstehen, sich auf die gleiche Stufe wie die Antagonisten zu begeben, um diese leichter besiegen zu können – egal wie verlockend es ist.
Ein weiterer Fehlschluss (seitens des Antagonisten und eventueller Anhänger) ist, dass so ein Antagonist selbst keine Fehler oder Schwächen hat. In der Regel bringen sich jedoch Antagonisten selbst zu Fall – gerade weil sie Liebe und Emotionen oft als Schwäche auslegen, können sie sich meist nicht in ihre Gegner, die Protagonisten, hineinversetzen. Sie können nicht vorhersehen, zu was diese aus purer Liebe zu jemandem in der Lage sind oder solche Gefühlshandlungen einzuplanen – denn natürlich schließen sie wie viele Menschen von sich auf andere.
Gerade klassischere Bösewichte sind sich sicher, unverwundbar zu sein – sind es jedoch nicht.
Weltenbauerisches Fazit
Natürlich sieht man dieses Phänomen in dieser Größenordnung in der Regel in Romanen oder Filmen und dann überwiegend in fantastischen Genres.
Aber das bedeutet nicht, dass das Prinzip „Antagonist befreit sich vom Zwang der Gesellschaft und der Protagonist überwindet ihn durch die Verbindung von Macht und Liebe“ nicht auch auf nicht fantastische Geschichten anwendbar wäre.
Auch im kleinen Rahmen und für Alltagsgeschichten oder Krimis kann das Prinzip an sich durchaus spannend zu variieren sein und wird auch gerne angewendet – nur ist es da oft nicht ganz so offensichtlich thematisiert. Es kann jedoch auch durchaus beispielsweise in einer Kindergeschichte über Mobbing und Freundschaft angewendet werden.
Man muss sich lediglich bewusst sein, dass es so ein häufig in der modernen Fantasy genutztes Bösewichtsprinzip gibt – und es gegebenfalls auf andere Genres anwenden, umschiffen oder anderweitig kreativ damit umgehen. Oder es ganz klasisch für eine Fantasygeschichte verwenden.
Wieso nicht, solange es gut gemacht ist?
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