Was, wenn jeder Schritt, jedes Wort, jede Geste gefilmt, archiviert und gegen mich verwendet werden kann? Was, wenn niemand mehr Herr über die eigenen Taten ist, weil niemand weiß, was sie für die eigene Familie für Folgen haben können? Was, wenn man in einer Welt lebt, in der jeder Mensch zum Feind werden kann, weil das eigene Gesicht auf jedem Fernsehapparat des Landes zu sehen war?
Willkommen in Panem – einer Welt, in der man nur dort sicher ist, wo keine Kameradrohnen hinkommen. Und auch dort nicht zwingend. Nicht nur während der Hungerspiele – der TV-Übertragung von Kämpfen Jugendlicher um Leben und Tot – und nicht nur die (ehemaligen) Tribute werden rund um die Uhr überwacht.
Warum wird überwacht?
Im Grunde genommen können alle im Buch genannten Argumente für die Überwachung zu einem zusammengefasst werden – es geht darum, den Status Quo mit allen Mitteln zu wahren.
Doch der Status Quo ist nicht annähernd so stabil, wie das Propagandafernsehen des Kapitols dem Volk zeigen will – denn die Machthaber fürchten respektloses Gerede, Spott und jede noch so kleine Geste, die bei der Bevölkerung den Status des Kapitols ins Wanken bringen könnte.
Denn wer das Buch gelesen hat, weiß, dass die Menschen in den einzelnen Distrikten nicht glücklich sind – Viele leiden Hunger und wären nicht in der Lage, auf legale Weise zu überleben. Doch während gelegentliche illegale Nahrungsbeschaffung noch toleriert werden könnte, wird jedes falsche Wort, jeder aufrührerische Gedanke im Keim erstickt und erbarmungslos verfolgt.
Denn das Kapitol ist nur mächtig, solange es unangezweifelt bleibt – doch Katniss‘ Geste mit den Beeren, vor laufender Kamera und in allen Haushalten als Pflichtprogramm, hat dieser Macht einen empfindlichen Dämpfer gegeben.
Wie wird überwacht?
Zum Einen gibt es direkt Beamte, die dafür zuständig sind, zu überprüfen, ob beispielsweise alle Bürger bei der Ernte erscheinen. Fehlt jemand, besuchen sie denjenigen sogar zu Hause um zu sehen, ob es für das Fehlen einen triftigen Grund wie z.B. Krankheit gibt.
Innerhalb der Distrikte selbst weiß man nie, wo es versteckte Kameras, Mikrofone oder schlicht missgünstige Mitmenschen verstecken. Oder ob die Kameras aufrührerische Worte von den Lippen ablesen können.
Der Staat ist also quasi allgegenwärtig, sodass man überall die Angst haben muss, belauscht zu werden.
Eine gesteigerte Form davon findet sich zusätzlich in der Arena bei den Hungerspielen – überall befinden unzählige Kameras und Mikrofone, die alles aufzeichnen, was die Tribute sagen und tun. Schließlich wird es im Fernsehen ausgestrahlt und gilt als Pflichtprogramm. Sogar in Distrikten, in denen die Fernseher veraltet sind oder wo sonst regelmäßig der Strom ausfällt, funktioniert während der Übertragungen der Hungerspiele alles tadellos.
So kommt für die Tribute zusätzlich zur permanent gegenwärtigen Todesgefahr – sowohl die Mitspieler als auch die Arena können jederzeit zum Verhängnis werden – die permanente Überwachung in jeder Minute.
Was passiert mit denen, die geschnappt wurden?
Die Strafe für alle, die sich aufständig verhalten, ist grausam und einen allgemeinen Strafenkatalog scheint es nicht zu geben oder er wurde im Roman nicht direkt thematisiert. Darum können an dieser Stelle nur Einzelschicksale behandelt werden.
Darius, ein ehemaliger Friedensrichter, der sich gegen die Strafmaßnahmen des neuen obersten Friedensrichters aufgelehnt hat, wurde beispielsweise zu einem Avox – einem stummen Sklaven, der im Kapitol den Tributen dienen muss.
Peeta, den man des Komplotts mit den Rebellen verdächtigt hat, wurde eingewebt. Das bedeutet, dass man ihn mit halluzinogenem Gift traktierte und ihm dabei falsche Erinnerungen einimpfte, bis er nicht mehr zwischen Realität und Wahn, Freund und Feind unterscheiden konnte.
Der verbotene Schwarzmarkt in Distrikt zwölf wurde zusammen mit allen Menschen darin schlicht niedergebrannt.
Schließlich muss sogar ein ganzes Distrikt für die angeblichen Fehler Einzelner leiden und wird ausgelöscht.
Feuer mit Feuer bekämpfen?
Ironischerweise überwacht nicht nur das Kapitol – District 13 hat ein Kamerateam abgestellt, um auch während des Sturms auf das Kapitol Katniss bei militärischen Aktionen zu filmen und die Aufnahmen durch Hacking ins Staatsfernsehen zu bringen.
Dies kann zu seltsamen Situationen führen – wie beim Erobern von District 2, als Katniss auf einem der vielen Bildschirme mitverfolgen kann, wie sie selbst angeschossen wird.
Weltenbauerisches Fazit
Die Panem-Trilogie zeigt sehr gut, was aus der Welt werden kann, wenn „um der Sicherheit willen“ die Menschen überwacht werden. Und zwar in zweierlei Hinsicht – nicht nur die Überwachung erreicht immer absurdere Dimensionen, auch die Strafen für jede noch so kleine Gesetzesübertretung stehen früher oder später in keinstem Verhältnis mehr zum tatsächlichen Vergehen.
Es gibt nichts zu essen und man wildert in einem Wald, der niemandem gehört? Tod durch Auspeitschen.
Man lehnt sich dagegen auf? Sklaverei.
Jeder noch so kleine Fehltritt erzeugt Gegenmaßnahmen, die nur noch eins zum Zweck haben – die Menschen durch Angst gefügig zu machen.
Die Trilogie zeigt jedoch auch eindrucksvoll, dass dies auf Dauer nicht funktioniert und spätestens wenn der Bogen überspannt ist, sich auch genügend tapfere Menschen finden, um den Widerstand zu leiten.
Dabei fixiert sich der Roman allerdings stark auf zentralisierte Medien, Videokameras und das Fernsehen, um die Überwachungsproblematik aufzuzeigen. Gefahren und Problematiken der Internetüberwachung wurden hier noch nicht berücksichtigt, da die Problematik zur Entstehungszeit der Romane noch nicht so stark in der Diskussion stand wie heutzutage.
Für jeden, der einen eigenen Roman rund um das Thema Überwachung, Privatsphäre und Diktatur schreiben möchte, kann die Panem-Trilogie dennoch als gut geschriebenes Anschauungsmaterial dienen. Außerdem handelt es sich schlicht um sehr gut geschriebene Romane.
Gute review… Ich hab den 3. Band als Hörbuch gehört und fand dass die Sprache manchmal ziemlich lustlos daherkam. So, als wär die Kür vorbei und nun stand noch die Pflicht auf dem Programm. Schade drum!
Aber das Thema ist aktueller denn je – und brennt in allen (Überwachungs-)Kanälen. Und ich fürchte, wir sehen nur die Spitze des Eisbergs… :(
Die Reviews kommen später, auf einem anderen Blog :). Mir ging es hier konkret um den Polizeistaat (die Hungerspiele selbst wären einen eigenen Blogpost wert, irgendwann).
Ich mag Hörbücher eben darum nicht besonders, weil ich dann nicht meine eigene Erzählstimme höre. Für mich war es teilweise sehr emotional und schmerzhaft.
Da sieht man mal wieder wie unterschiedlich die gleoichen Dinge bei verschiedenen Menschen manchmal ankommen. Aber es gibt auch richtig, RICHTIG!! gute Erzähler. Mein absolutes Highlight bisher ist Stefan Kaminski, wenn er die Königsmörder-Chroniken liest… WOW!, einfach WOW!! :)
(Nur leider warte ich immer noch auf den letzten Teil der Chroniken…)
Stimmt – es ist immer alles sehr individuell.
Bei mir kommt aber hinzu, dass ich eine sehr schnelle Leserin bin und mir die meisten Hörbücher schlicht zu langsam sind. Bis ich das Buch angehört habe, habe ich es gefühlt mindestens drei mal gelesen.
Da einen Erzähler zu finden, den ich gut finden würde, ist nicht leicht ^^.
Viel hängt auch davon ab, wo man selbst steht. Ich bin ein wenig mit Geschichten davon aufgewachsen, was aus den jungen Menschen geworden ist, die (für die Sowjetunion) nach Afghanistan gingen und wie sie zurückkamen. Darum war für mich beispielsweise die Morfix-Sucht von Johanna das Logischste, was man sich vorstellen könnte.
Und einige Passagen haben mich enorm erschüttert, weil ich selbst eine Schwester habe (auch wenn unser Altersunterschied größer ist als der zwischen Katniss und Prim) und beim Lesen immer wieder diese Gedanken hatte, was wäre, wenn das meine Kleine wäre, die sowas aushalten müsste und wo wäre ich dann und was würde ich tun.
Vielleicht finde ich irgendwann einen Erzähler, den ich mir gut anhören kann :). Wer weiß :). Viele schwören auf Hörbücher.
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