Fallstudie: Vampire und die Kunst

Wenn man von der Prämisse ausgeht, dass die Kunst der Menschen aus dem Bewusstsein der eigenen Sterblichkeit entstand – warum sollen dann Vampire Künstler sein? Für einen Vampir kann Kunst schließlich nicht bedeuten, etwas von sich selbst zu hinterlassen, um sich selbst vor dem Vergessenwerden zu bewahren. Im Gegenteil – die Sicherheit und das Überleben eines Vampirs können davon abhängen, dass die Menschen sie möglichst schnell vergessen.
Im Folgenden einige Gedanken zu Vampirkünstlern aus der Literatur, ihre Beweggründe und die Folgen der Kunst.

Wieso also Kunst?

Selbst wenn Kunst nicht mehr dazu dient, in Erinnerung anderer zu bleiben, behält sie immer noch ihre Funktion als Mittel des Selbstausdrucks. Sich selbst auszudrücken aber ist eine nie versiegende Quelle künstlerischer Energie und die Romane, Gedichte, Stücke, Gemälde etc. der „Sterblichen“ sind nicht oder nur unzureichend in der Lage, Kunstwerke zu schaffen, die auch die ganze Reichweite vampirische Denkens und Fühlens umfassen. Menschliche Kunst befasst sich schließlich mit menschlichen Emotionen oder Problemen der menschlichen Gesellschaft – die einem Vampir nicht mehr zwingend wichtig sind oder die nicht ausreichen, um auch sein Denken und Fühlen abzudecken.
Die so entstandene Lücke verlangt danach, gefüllt zu werden – und so entstehen Kunstwerke von und für Vampire.
Welche Art von Kunst dabei entsteht, hängt aber von den individuellen Talenten der Vampire ab.
Für einige Vampire stellt Kunst oder Ästhetik darüber hinaus das einige akzeptable Wertesystem dar, so gibt es für Nicholas de Lenfent, Lestats Geliebten aus „Fürst der Finsternis“, kein Gut und Böse – es gibt nur gute und schlechte Kunst.

Die Sache mit der Unterschrift

Die nächste Frage ist, ob und wie man ein Kunstwerk als sein eigenes ausgeben oder signieren sollte, wenn niemand bemerken darf, dass man nicht altert.
Zum Einen ist jedes Lebewesen stolz, selbst etwas geschaffen zu haben und möchte natürlich auch als der Urheber gelten – zum Anderen ist hier die Gefahr, entdeckt zu werden, besonders groß. Dieses Problem kann verschieden gelöst werden.
So sind die Näharbeiten und Kunstwerke der Vampirin Teesha aus „Dhampir – Halbblut“ nur für die interne Verwendung der Vampire in Miiska gedacht und kein Mensch hätte diese jemals zu Gesicht bekommen sollen. Sie konnte also ruhig Kunstwerke entstehen lassen, ohne eine Entdeckung fürchten zu müssen.
Anders sieht es mit den Vampiren aus den „Vampirchroniken“ von Anne Rice aus – diese sind von zahlreichen Künstlervampiren bevölkert: Marius ist nicht nur ein begnadeter Künstler, sondern hat im 15ten Jahrhundert mitten in Rom sogar eine große Gruppe menschlicher Schüler um sich, denen seine Eigenheiten nicht entgehen können. Lestat schreibt nicht nur Bücher, er tritt eine kurze Zeit sogar als Rockmusiker in Musikvideos und life in Erscheinung – und wer seine Bücher für bare Münze nimmt, kann sehr leicht die beschriebenen Vampirmerkmale an ihm erkennen.
Dabei gibt es zwei Arten von Motivation – während Marius mit seiner Kunst einfach nur erfreuen will, ist es für Lestat nicht zuletzt auch der Kitzel der Provokation anderen Vampiren gegenüber, seine öffentliche Art in Hinblick auf die Geheimhaltung ihrer Existenz bringt ihm regelmäßig eine Menge Ärger.
Ein Vampirkünstler kann sich im Prinzip jedoch Menschen gegenüber weitestgehend auf den Effekt der Unsichtbarkeit in der Öffentlichkeit verlassen – bis auf wenige Ausnahmen wird jedem Leser, Zuschauer oder Zuhörer bewusst sein, dass der „vermeintliche“ Vampir nicht echt sein kann und das Ganze wird als großer Kunstgriff gefeiert.
Wie Eleni es in „Fürst der Finsternis“ so treffend beschreibt, finden sich Vampirkünstler in einer Situation, in der Vampire so tun, als wären sie Menschen, die so tun, als wären sie Vampire.

Die Auswirkung der Kunst

Ein Großteil von Kunst – egal ob durch Mensch oder Vampir geschaffen – wird rezipiert und diskutiert.
Im Falle von Lestats Rockband hat seine Kunst allerdings eine in „Die Königin der Verdammten“ beschriebene Beinahe-Katastrophe ausgelöst, denn durch seine Songs – in denen er die ältesten Vampirgeheimnisse mit den Menschen teilt – wird die Urvampirin Akasha aus ihrem Schlaf erweckt und dezimiert drastisch die Zahl der Vampire. Nur mit Mühe kann sie vermichtet werden.
Die Aktivität von Marius als Künstler und Zeichenlehrer für zahlreiche Jungs führte zum Angriff durch die „Kinder der Finsternis“, beinahe zu seiner Vernichtung. Außerdem wird sein Geliebter Armand entführt. Denn Marius‘ den Menschen naher Lebensstil stellt für die „Kinder der Finsternis“ eine Sünde dar.
Als Armand sich dem „Theater der Vampire“ unter Elenis Leitung anschließt und daraus schließlich seinen neuen Vampirclan macht, führt er auch das Töten von Opfern auf der Bühne ein – dabei macht er sich die Dekadenz der Menschen im Paris des achtzehnten Jahrhundert zu Nutzen, die die vor ihren Augen geschehenden Morde für besonders geschickte Inszenierungen halten. Die zunehmende Degenerierung der Theatercrew mündet in Claudias Tötung – woraufhin Louis das Theater niederbrennt und dieser Kunstform ein Ende setzt.

Absurd hoher Künstleranteil unter Vampiren?

Prinzipiell nicht – wer unendlich viel Zeit hat, um sich im Ausüben einer Kunst, egal welcher, zu perfektionieren, wird letztendlich auch Ergebnisse erhalten. Selbst völlig talentlose Zeichner, Schriftsteller und Sänger haben die Zeit auf ihrer Seite und können bei entsprechendem Interesse alles meistern.
Da außerdem „jagen und Blut trinken“ auf Dauer nicht unbedingt nachtfüllende Aktivitäten sind, legen sich Vampire notgedrungen kreative Hobbies zu, damit die Ewigkeit nicht zur ewigen Langeweile verkommt. Der Rest ergibt sich von selbst.
Dazu kommt allerdings auch der rein praktische Aspekt – wie oben erwähnt, ist kaum ein Versteck sicherer als eins, bei dem man die ganze Zeit vor einem Publikum steht. Genau das aber sind Künstler – permanent im Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit. Wenn dann etwas über seltsame Vorlieben bekannt wird, schiebt man das einfach auf die in der Branche üblichen Künstlerallüren und denkt nicht weiter darüber nach.
Und außerdem gibt es Vampircanons, in denen kein einziger Vampir ein Künstler ist… wie beispielsweise der Klassiker „Dracula“!

Welche künstlerisch tätigen Vampire sind eure Lieblinge? Oder könnt ihr dem Konzept vom ewigen Künstler gar nichts abgewinnen?

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Über Katherina Ushachov

Lektoriert, liest alpha, beta, gamma und omega. Administriert Foren, entdeckt beim Schreiben und schafft dabei Trilogien in neun Bänden. Dichtet.
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7 Antworten zu Fallstudie: Vampire und die Kunst

  1. fruehstuecksflocke schreibt:

    Dracula selbst hat aber auch seine Hobbys – er lernt Sprachen, hat eine riesige Bibliothek…. das dürfte wohl auch Beschäftigungstherapie für die Ewigkeit sein.

  2. William Lahn schreibt:

    Danke für diesen wundervollen, sehr erhellenden Artikel – ich habe mir oft Gedanken gemacht, wieso die Vampire von Anne Rice sich so oft in die Kunst flüchten. Du hast es, finde ich, auf den Punkt gebracht.

  3. Ally schreibt:

    Hinzuzufügen wäre, dass Vampire auch die Möglichkeit haben, viele verschiedene Leben zu führen. Mit der Mode der Zeit und neuen „Schönheitsidealen“ werden auch sie sich optisch verändern (müssen), um unter den Menschen nicht aufzufallen – so gibt es zwar „starke Ähnlichkeiten zu früher lebenden Verwandten“ (sollten Fotos etc. auftauchen), aber anders sehen sie schon aus. Dazu einfach nach der Dauer eines Menschenlebens ein neuer Deckname oder gerade bei Künstlern unterschiedliche Pseudonyme und schon ist die Sache geritzt.

    Ein Vampir der Autor ist, kann sich nach einem Menschenleben mit neuem Namen und angepassten Aussehen der Musik widmen, sich anschließend in der Malerei versuchen etc. und irgendwann wieder beim Schreiben landen. Möglich ist alles. Welcher Mensch schöpft schon Verdacht (wenn es überhaupt bemerkt wird), wenn ein Autor nach 300 oder 400 Jahren eine überraschende Ähnlichkeit mit einem Vorfahren hat, der ebenfalls Autor war?

    • Evanesca Feuerblut schreibt:

      Stimmt – das wird beispielsweise bei Anne Rice aufgegriffen, indem Maharet behauptet, ihr Name wäre nur ein Titel und es wäre immer eine andere Maharet, um selbst vor ihrer eigenen Familie ihre wahre Identität zu verheimlichen.

      Ich denke nicht, dass es jemand merken würde ^_^

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