Weltenbau-Artikel: Schlachtrufe

Gendrys Schwert verbeulte den Helm des Gegners und riss ihn von seinem Kopf. Darunter zeigten sich eine Glatze und ein verängstigtes Gesicht mit Zahnlücken im Mund und einem grau melierten Bart, und obwohl Arya Mitleid mit ihm verspürte, tötete sie ihn doch und schrie „Winterfell! Winterfell!“, während Heiße Pastete „Heiße Pastete!“ brüllte und auf den dürren Hals des Mannes einhackte. – George R.R. Martin, Der Thron der Sieben Königreiche, S. 276

Der heutige Weltenbau-Artikel steht ganz im Zeichen der Schlachtrufe. Jeder kennt sie, jeder liebt sie, und sie sind genauso ein fixer Bestandteil epischer Fantasyszenarien wie weise Zauberer und dunkle Herrscher. Wenn es zur großen, allesentscheidenden Schlacht kommt, offenbaren sich die wahren Helden, denn sie ignorieren jeglichen mütterlichen Rat, rennen mit dem Schwert in der Hand den eigenen Streitkräften voran und lassen wild entschlossen ihr Kampfgebrüll vernehmen.
Aber was genau rufen Helden eigentlich? Und wieso?

Für das Vaterland!

Einerseits können Schlachtrufe eine Deklarationsfunktion erfüllen – denn der Feind muss schließlich wissen, mit wem er es hier zu tun hat und wofür man sich eigentlich gegenseitig den Schädel einschlägt.

Ein Beispiel hierfür wäre etwa Aryas Ruf „Winterfell!“ aus obigem Zitat: Die Gegner, gegen die sie kämpft, sind Männer der Lennisters, die sich unter anderem mit Aryas Heimatland Winterfell im Krieg befinden. Aryas Ruf ist zu lesen als „Für Winterfell!“

Gleichzeitig richtet sich ein solcher Ruf nicht nur an den Feind, sondern auch an den Freund. Schlachtrufe können auch eine Appellfunktion erfüllen – in der Verfilmung des Herrn der Ringe wendet sich Aragorn bei der letzten Schlacht am schwarzen Tor zu seinem Heer um. „Für Frodo!“, flüstert er. Hiermit macht er seinen Gefährten klar, worum es eigentlich geht. Wofür kämpfen wir? Damit verbunden ist auch die Frage: Was passiert, wenn wir verlieren?

„Für Frodo!“ ermahnt die Gefährten, sich besonders anzustrengen, denn wenn sie nicht kämpfen und verlieren, dann wird auch Frodo an seiner Aufgabe scheitern, wodurch Mittelerde schutzlos ausgeliefert wäre. Kein Wunder, dass das versammelte Heer das als Schlachtruf aufnimmt.

Ah, Hilfe!

Wenn Frodo im Kampf gegen die Nazgul auf der Wetterspitze „O Elbereth! Gilthoniel!“ ausruft, dann erfüllt das eine gänzlich andere Funktion. Die Nazgul sind dunkle Reiter, Ringgeister, Diener Saurons und damit des Bösen. Frodo ist verzweifelt, denn er ist umzingelt und zwischen ihm und dem Feind ist nichts als sein kümmerliches kleines Schwert. Elbereth Gilthoniel ist der Sindarinname der Valar Arda (Valar sind eine Form von Göttern in Tolkiens Mythologie), und Arda schuf die Sterne und erfüllte die Welt mit Licht, vereinfacht gesagt. Frodos Ruf ist also ein Anruf an die Göttin, eine Bitte um Beistand und Hilfe, mit dem er nicht zuletzt sich selbst Mut machen will.

Ähnlich lassen sich zum Beispiel die vielen „Beim Jupiter!“ und „Beim Teutates!“-Rufe in den Asterix-Comics einordnen, ehe es zur großen Keilerei kommt.

Schlachtruf als Legitimation

Ganz ähnlich, aber etwas anders verhält es sich mit den in Kreuzfahrerfilmen oft überstrapazierten „Gott will es!“- / „Deus vult!“-Rufen. Zwar transportieren auch diese einen Götteranruf mit sich, aber nicht als Bitte um Beistand. „Deus vult!“ fungiert vielmehr als Appell an die Mitstreiter, den göttlichen Willen zu erfüllen und legitimiert das eigene tun. „Wir vollführen Gottes Werk, wir sind im Recht, also zeigen wir denen, wo der Hammer hängt!“ könnte man wohl als Grundaussage annehmen.

Ähnlich legitimierend auch die berühmten „Für den König!“-Rufe, oder aber auch Aragorns Ausruf „Elendil!“, mit dem er sich als wahrer Erbe desselbigen zu erkennen gibt und damit aussagt: „Ich bin Elendils Nachfahre, hier habe ich sein Schwert Narsil und euch mach ich jetzt platt!“

Sonstiges

Allerdings lassen sich nicht alle Schlachtrufe nach solch schönen Kriterien anordnen. Heiße Pastete hatte im obigen Textbeispiel wohl einfach das Bedürfnis, zu schreien, wusste aber nicht was.

Oftmals sieht man in Filmen und Büchern auch viel belanglosere Ausrufe, wie etwa „Vorwärts!“, „Zum Angriff!“ oder „Attacke!“ Allen gemein ist, dass das Geschrei eines angreifenden Heeres riesig ist – nicht ohne Funktion. Gemeinsames Geschrei kann in solchen Momenten auch das Zusammengehörigkeitsgefühl stärken, Adrenalin freisetzen, den sprichwörtlichen Kampfrausch einleiten. Nicht ohne Grund gibt es in unserer Sprache ja auch den geflügelten Ausspruch „Auf sie mit Gebrüll!“

Schwer einzuordnen und zu deuten ist auch der Schlachtruf Theodens, König von Rohan. Als es zur Schlacht auf den Pelennor-Felder kommt, reitet er seinen Männern voran und ruft „Tod!“ – unklar bleibt, wozu. Ist es der Tod, den er den Orks bringen will? Oder soll der Tod sich schon einmal bereithalten, um ihn und seine Männer zu holen?

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Über fruehstuecksflocke

Tätig als Studiosus, Autor, Blogger, Leser; außerdem Zusatzqualifikationen: Zitatesammler, Schwammaufsauger von jeglicher Nichtigkeit und leidenschaftlicher Verlierer beim Schachspiel.
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7 Antworten zu Weltenbau-Artikel: Schlachtrufe

  1. PoiSonPaiNter schreibt:

    Spontan fällt mir da der etwas andersartige Ausruf eines gewissen untoten Warlocks aus dem Webcomic Looking for Group ein: „For Pony!“ Mit der entsprechenden verdutzten Reaktion seiner Mitstreiter. :D

    Aber schon interessant, welche Variationen es da gibt.

    P.S. Ich dachte es heißt Sprache ;)

    • fruehstuecksflocke schreibt:

      Args, es schleichen sich doch immer wieder Tippfehler ein, die ich nicht einmal beim dreiundvierzigsten Korrekturlesen finde -.-
      Danke für den Hinweis!

      Und danke für den Hinweis auf den Webcomic – den nehm ich doch glatt in meine Lesezeichenliste auf :D

  2. Black Crow schreibt:

    Hier http://www.random-generator.com/index.php?title=Battle_Cries gibt es einen Englischen Schlachtrufgenerator.

  3. Illegitim schreibt:

    Schönes Thema! Ich mag die zitierte Textstelle wahnsinnig gern – es scheint mir ziemlich offensichtlich, dass Martin sich damit einen privaten Scherz auf die klassische Tolkien’sche Fantasy erlaubt und sich beim Schreiben ordentlich einen in seinen Rauschebart gelacht hat. Unwahrscheinlich spannend, dass die Schlachtsequenz aus der „Return of the King“-Verfilung und „Hot Pie!“ quasi im selben Genre existieren, und eigentlich ein Grund mehr, Fantasy zu lieben.

    • fruehstuecksflocke schreibt:

      Jep, Martin hat da einen sehr offensichtlichen Seitenhieb platziert – und er funktioniert auch wunderbar, ich persönlich habe sehr gelacht ^^
      Es ist in der Tat spannend, welche Bandbreite Fantasy haben kann und darüber hinaus zu sehen, dass auch in ihrer Grundstimmung nach recht düsteren Fantasywerken (im Lied von Eis und Feuer gibts ja gefühlt alle drei Seiten Mord und Totschlag…) Platz für Humor und solche Intertextuellen Anspielungen & Verweise ist. Sehr, sehr spannend :)

  4. Disa schreibt:

    Guter Hinweis, den du mit diesem Artikel gibst. Ich finde sowas auch immer sehr stimmungsvoll und wenn es „nur“ „Für die Horde!“ o.Ä. ist. :)

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